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Bürgergeld & Weltschmerz: Nachrichten [IGEL München]

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to top Zwei mal Drei macht Vier - Widdewiddewitt und Drei macht Acht Fuffzig...
04. July 2014


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'Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt.' -
[Andrea Nahles]

In jeder und jedem von uns steckt eine kleine Pippi Langstrumpf. Wohl auch in der derzeitigen Bundesarbeistministerin Andrea Nahles (SPD), die am heutigen Freitag den Gesetzentwurf zur Einführung des Mindestlohngesetzes in den Bundestag einbringen wird.

Dessen Verabschiedung ist reine Formsache. Längst sind die notwendigen Mehrheiten geschaffen. Die Fraktionsdisziplin einer grossen Koalition macht es möglich, den schon seit April 1917 der USPD zugeschriebenen und während der Regierung Schröder und seiner Agenda 2010 sich manifestierenden Slogan ' Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!' wieder neu aufleben zu lassen.

Nach dem ursprünglichen Gesetzentwurf vom 8. Februar 2011 [BtD 17/4665], der u.a. von der Abgeordneten und Staatsekretärin im Bundesminsiterium für Arbeit und Soziales, Gabriele Lösekrug-Möller (LöMö) verfasst und durch den derzeitigen Aussenminister und damaligen Fraktionsvorsitzenden Walter Steinmeier unterzeichnet wurde, war noch gemäß § 2 Abs. 3 MLG jeglicher Verzicht auf Mindestlohnansprüche unzulässig. 'Ihre Verwirkung ist ausgeschlossen', hiess es in Satz 2. Trotz der teils haarsträubenden juristischen Fehler des Gesetzentwurfes war das Gesetz von jeher eher als politisches Feigenblatt angelegt. Denn von einem wirksamen Instrument gegen das dem Kapital innewohnende Lohndumping, bei dem auch ArbeitnehmerInnen den marktpolitischen Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen sind, konnte auch im ersten Entwurf der SPD Bundestagsfraktion nie die Rede sein. Kein Grund also, sich auf die erst im weiteren parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren entstandenen Ausnahmen zu berufen oder die Schuld nach dem Abdanken der FDP dem zuletzt verbleibenden neoliberalen Koalitionspartner CSU in die Schuhe zu schieben.

Warum sonst sollte bereits im ersten Entwurf der SPD gleich in § 1 Abs. 2 S. 2 MLG (Entwurf) geregelt werden, dass jeglicher Mindestlohnanspruch auf vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschränkt bleiben solle? Und warum wurde die damit weiterhin bestehende Erpressbarkeit der im Niedriglohnsektor Arbeitenden von der ersten Beratung über den Gesetzentwurf im Februar 2011 bis zu dessen letztendlichem Beschluss durch die Bundesregierung am 11. April 2014 nie gesehen, dessen Änderungsgesetz nunmehr in seiner Betitelung als 'Tarifautonomie-Stärkungsgesetz' die wirtschaftsliberalen Autonomiebestrebungen des daraus entstandenen MiLoG bereits im Titel trägt?

Zieht man den juristischen Umkehrschluss, wird die Zielrichtung schnell klar: Nie war es beabsichtigt, sowohl gänzlich Erwerbslose wie auch sog. AufstockerInnen, deren Gehalt nicht zum Leben reicht und die deshalb mit Leistungen des Jobcenters ihr lohngedumptes Einkommen aufbessern müssen, in den Genuss eines auch nur die Menschenwürde sichernden Mindestlohnes kommen zu lassen, wie es in § 1 MLG (Entwurf) eben nicht hiess. Solange die politische Differenzierung zwischen 'genug' und zu wenig Verdienenden, zwischen Arm und Reich andauert, wird es auch möglich sein, diese Menschen aus marktpolitischen Erwägungen und Gründen der Gewinmaximierung gegeneinander auszuspielen, bis sich Arbeiter und Erwerbslose in ihren (Lohn)ansprüchen gegenseitig unterbieten. Damit wird das Mindestlohngesetz von vornherein zum stumpfen Schwert im Kampf gegen die soziale Ungleichheit. Gleichwohl ist es dem Wähler und den Medien öffentlich repräsentatierbar.

Der im Gesetzentwurf verwendete Terminus des 'soziokulturellen Existenzminimums' wurde durch LöMö, die eine sozialpädagogische Ausbildung an einer evangelischen Fachochschule genossen hat, in Zusammenarbeit mit der Bayreuther Rechtsanwältin und der derzeitigen arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der SPD, Anette Krame, unrefelektiert aus dem ein Jahr zuvor ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 übernommen. Während der Vorsitzende Richter damals noch von dem durch die Hartz-IV Regelsätze nicht gewährleisteten menschenwürdigen Existenzminimum sprach, drehte ihm die damalige Bundesarbeitsministerin sogleich in geschickter Manier das Wort im Mund herum und prägte den Terminus des soziokulturellen Existenzminimums, das sich laut der damaligen Arbeits- und Sozialministerin schwerpunktmäßig auf Kinder bezog. Tatsächlich verstiess Ursula von der Leyen in ihrer eigenwilligen Interpretation des Urteils mit dem Ausschluss erwachsener Sozialleistungsbeziehender vom menschenwürdigen Existenzminimum nur wenige Minuten nach dem Richterspruch gegen den fundamentalen Grundsatz der Gewaltenteilung.

In ihren Fusstapfen stolpert nun erstmalig und gänzlich gutgläubig deren Nachfolgerin und Literaturwissenschaftlerin Nahles. Es bleibt abzuwarten, ob sie im kommenden Jahr bis zur ersten Beratung über die in weitestgehender Geheimhaltung entstandenen und bislang unveröffentlichten Vorschläge der Bund-Länder-Kommission hinsichtlich der fundamentalen Änderung der Sozialgesetzbücher ihren Mitarbeiterstab sorgfältig auswählt, um sich so wenigstens auch aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Einschätzung der Bestandskraft der ihrem Ressort unterstehenden Gesetzentwürfe bilden zu können. Bis dahin wird sie bei der Kollegin Kipping (Die Linke) oder bei den Gewerkschaften nachlesen müssen und sich dabei dunkel an die Stammwählerschaft der Regierung Schmidt erinnern. [dah]