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to top Andrea Nahles enttäuscht solidarisches Europa
01. January 2017

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Für parlamentarische Verhältnisse geradezu unverzüglich hat die Bundesregierung auf drei Senatsurteile des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 2015 reagiert, wonach EU-Ausländer_innen auch bei fehlender Freizügigkeitsberechtigung zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen sind.

Im Falle eines verfestigten Aufenthalts - über sechs Monate - sei dieses Ermessen aus Gründen der Systematik des Sozialhilferechts und der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Weise reduziert, dass regelmäßig zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen sei, so der 4. Senat des Bundessozialgerichts in seiner Medieninformation Nr. 28/15.

Für Andrea Nahles war diese höchstrichterliche Rechtsprechung Grund genug, um die Gewaltenteilung ad absurdum zu führen. Statt sich bei ihrer Gesetzgebung nunmehr an den richtungsweisenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zu orientieren, liess sie reflexartig unter Federführung ihres Bundesministeriums für Arbeit & Soziales in Windeseile das schon im Titel sperrige 'Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (GrSiAuslG)' formulieren. Pünktlich zu Karnevalsbeginn am 11. November 2016 wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der 200. Sitzung des Bundestages erstmalig eingebracht und damit öffentlich.

Vorgestellt wurde der Entwurf von Anette Kramme, parlamentarische Staatsekretärin bei Bundesministerin Nahles. Krammes pathetischer Redeauftakt: "Wir leben in besorgniserregenden Zeiten!" darf angesichts der wesentlichen Aushöhlung der Grundrechte von EU-Bürger_innen durch ihren Gesetzentwurf noch als angemessen betrachtet werden. Gleich im zweiten Satz beschreibt die Staatsekretärin dann den Sinn und Zweck ihres Gesetzentwurfes aus Sicht der Bundesregierung: "Politiker mit nationalistischen Parolen erhalten Zulauf, und Institutionen wie die Europäische Union, die für Völkerverständigung und für internationale Kooperation stehen, sind schwer unter Beschuss geraten."

Weil also bei der kommenden Bundestagswahl mit einem beträchtlichen Stimmanteil für AFD und Konsorten zu rechnen ist, besetzt die Bundesregierung im Wahlkampfjahr deren rechtspopulistische Themen, indem sie künftig EU-Ausländer_innen Leistungen der sozialen Grundsicherung fünf Jahre lang vorenthält. Es bedarf wahrlich der rhetorischen Brillanz einer Staatsekretärin, die Quintessenz dieses Änderungsgesetzes in zwei Sätzen so prägnant auf den Punkt zu bringen.

Leisere und zugleich treffende Worte wählte hingegen zuvor im Bundesrat Professor Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten in Thüringen. Er sieht in dem Gesetzentwurf eine fundamentale Aushöhlung des verfassungsrechtlich garantierten Menschenrechts auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Bei der 950. Sitzung des Bundesrates am 4. November 2016 gab Hoff deshalb eine schriftliche Erklärung zu Protokoll, die angesichts des schweren verfassungsrechtlichen Eingriffs durch die Bundesregierung in ihrem gesamten Wortlaut bereit gestellt wird:

- Anlage 7 des Plenarprotokolls der 950. Sitzung des Bundesrates am 4. November 2016 in Berlin, S. 42, 43
- Gesetzgebungsverfahren GrSiAuslG - Dokumentationssystem für Parlamentarische Vorgänge [DIP-ID: 18-77237]