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to top Peter-Paul Zahl: Der glückliche Arbeitslose
16. November 1979

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Schlagen wir eine der vielen Zeitung auf, welche die Frechheit aufbringen, sich alternativ, links oder gar linksradikal zu nennen, überfällt uns der heilige Zorn. Wohin man auch schaut, ob In- oder Ausland, es wird wahrhaftig über Arbeitslosigkeit und Berufsverbot geklagt und gejammert.

Haben wir uns denn je um Arbeit und Beruf geschert – im Kapitalismus? Man wagt, uns Faulenzertum, Genusssucht und Müßiggang vorzuwerfen – wovon es gar nicht genug geben kann –, und Ihr bettelt darum, Berufe ausüben zu dürfen? [...]

Könntet Ihr Euch im Ernst mit dem Gedanken abfinden, Euer ganzes Leben als Rechtsanwälte, Lehrer, Dozenten, Richter zu verbringen? Gar bis zum 65. Lebensjahr? Hat nicht auch Euch der Heilige Schauder gepackt, wenn Ihr auch nur dran dachtet?

Sind Arbeitslosigkeit und Berufsverbot nicht vielmehr Vorstufen künftiger Arbeits- und Lebensweisen? Fordern wir nicht:

Arbeitslosigkeit für Alle!?

Liegen nicht großartige Perspektiven darin, ein ganzes Leben lang nichts, aber auch gar nichts für den Moloch “Kapitalverwertung” zu tun? Wächst nicht im Schoße der Alten Gesellschaft das strahlende Kind der Zukunft heran: der tanzende, lachende, spielende, genießende, singende Mensch von Morgen, der seine Bedürfnisse liebt und lebt?

Arbeitslosengeld und Sozialhilfe seien zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben?

Dann kämpft dafür, diesen Zustand zu ändern. Betreibt die Große Aneignung. Fordert den Politischen Lohn. Gründet die Partei gegen die Arbeit! (Bei einer Millionen Arbeitslosen mit etwa je drei Angehörigen kämen 4 Millionen Stimmen zusammen – unseres Wissens also etwa 10 % aller Stimmen...)

Arbeitszeit – Freizeit, Kultur – Leben, Sexualität – Arbeit: diese Begriffe drücken die Trennungen in unserem Alltag aus. Nun, da das wunderbare Zeitalter der Nicht-Arbeit für viele angebrochen ist, obwohl das Kapital die Macht noch in den Händen trägt, ist es uns, den Arbeitslosen, die endlich ihr schlechtes Gewissen verlieren müssen, den “Opfern” der Berufsverbote, möglich, den Anderen die Aufhebung der Trennungen vorzuleben, in Spiel, Freude und Zusammenarbeit in Harmonie.

“Doppelstrategie” darf nicht bedeuten, lauthals Arbeit zu fordern – und sich in Wirklichkeit (wie jedermann) nach Feierabend, Sonnabenden und Sonntagen, Feiertagen und Urlaub zu sehnen. Kann nicht bedeuten: Schluss mit dem Berufsverbot! zu schreien – und in der politischen Arbeit einen Zustand anzustreben, der Richtern, Dozenten, Verfassungsrechtlern, Lehrern und ähnlich unnützen Berufen das Handwerk legen wird.

Sind unsere Bedürfnisse wirklich Ausgangspunkte unserer Politik, wir Marx und Lafargue (Lebensmittel) forderten? Dann begrüßen wir Arbeitslosigkeit und Berufsverbot ausdrücklich. Dann richten wir Schulungskurse für alle ein, die Anhörungsverfahren unterworfen werden oder sich bei einem Ausbeuter bewerben müssen. Schulungskurse, in denen gelernt wird, wie man möglichst radikal und verfassungsfeindlich aussieht; wie verschlagen-naturalistische Antworten gegeben werden; wie das Augenmerk der Prüfer vom Verfassungs“schutz” auf alle jene Punkte gerichtet werden kann, die diesen Toren entgangen waren; wie ein möglichst saloppes, unverschämtes Auftreten helfen kann (Bewerbungen nur unrasiert, nach Rotwein und Knoblauch riechend, ein Anarchoblatt unter dem Arm).

Arbeitslos

Dann werden Arbeits- und Sozialämter Stätten freudiger Begegnung. Dann werden Tricks und Tipps von Mund zu Mund weitergegeben, sich erfolgreich dem Ansinnen zu entziehen, Arbeit annehmen zu müssen. Dann fragen wir nicht kriecherisch nach irgendwelchen Posten und Stellen, sondern sacken – fröhlich pfeifend! – stolz alle uns zustehenden Gelder ein. Dann tragen wir jeden abgelehnten Lehramtskandidaten auf den Schultern aus den finsteren Verließen der Bürokraten. Dann bilden wir heiter Trupps von Arbeitslosen, die Büros belagern und jedes, aber auch jedes Angebot sozialer Hilfe in Anspruch nehmen. Dann werden wir alle “Animateure” in den Plätzen unseres Ewigen Urlaubs: unseren Städten und Dörfern.

Hoch die Arbeit – dass keiner dran kann!

Unsere Sorge darf nicht länger darin bestehen, an Arbeit zu kommen, sie kann vielmehr darin gesehen – und gemeistert! – werden, sich mit genügend Kohle, Asche, Mäusen, Rubelchen für den andauernden Festtag zu versehen. Schon heute kosten beispielsweise Unterkunft und Verpflegung für Straf- und Untersuchungsgefangene bei Weitem mehr als ein gleich langer Urlaub auf Mallorca oder am Sonnenstrand. Warum also nicht gleich alle Personen, die aus dem Produktionsprozess herausgefallen sind, in den Süden schicken? Vergessen wir nicht: Wir sind viele und werden immer mehr. Zur Zeit gibt es in den hochentwickelten Industrieländern des Kapitalismus 18 Millionen Arbeitslose. Spricht sich herum, wie wunderschön Muße sein kann, wird unsere Branche die mit den höchsten Zuwachszahlen sein und gewaltigen Zulauf aus Landwirtschaft, Handwerk, Gewerbe und Industrie erhalten. Ja, das Verhältnis von Arbeitenden zu Nicht-Arbeitenden wird sich rapide umdrehen. Unser Ziel muss sein: ein jeder ein Playboy (deutsch: Spieljunge), eine jede ein Playgirl – allerdings ohne die spezifischen Laster jener, die sich heute so nennen.

Der in der Hängematte dösende Eingeborene von den Trauminseln, von dem schon Marx schrieb, ist unser Vorbild. Und bald wird auch dem Letzten einsichtig, dass der malochende, schwitzende, nervlich zerrüttete Lohnabhängige und Ausgebeutete – dauernd Stress, Dreck, Gestank, Lärm, Berufskrankheit, der Gefahr eines Unfalls usf. ausgesetzt – ein Gespenst grauer Vergangenheit, dunkler Vorgeschichte sein muss, sein wird.

Berufsverbot für Alle! Eine Jede, ein Jeder arbeitslos!

müssen unsere Forderungen lauten. Schluss mit der Verdrehung aller Werte! Das verfaulende kapitalistische System selber liefert uns die Alternative: hitzefrei im Sommer, nebelfrei im Herbst, kältefrei im Winter, erkältungsfrei im Frühling, arbeitslos und brünstig – glücklich das ganze Jahr über. Nichts anderes. Freiheit und Glück, sagen wir immer, nicht: Arbeit und Unglück.

So sei es.

Arbeit ist Verrat am Proletariat!

Anmerkung:
Dieser Text ist der Leitartikel der 1979 erschienenen (fiktiven) Zeitschrift “Der glückliche Arbeitslose”. Der Artikel umfasst die Seiten 1 bis 6 der 25-seitigen Zeitschrift, über die der Herausgeber, Peter-Paul Zahl, schreibt: “Jahrgang 1, Nummer 1, erste und letzte Ausgabe”. Für diese Zeitschrift übernahm Gerhard Seyfried die Gestaltung und Illustration.
Diese Zeitschrift gibt es nur in folgendem Buch:
Peter-Paul Zahl: “Die Glücklichen”, Schelmenroman, 1. Ausg. 1979 im Rotbuch Verlag, S. 197-221