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Darf das BVerfG unabhängig über die Menschenwürde entscheiden? | 15. January 2019 |
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Karlsruhe: In diesen Stunden verhandelt der Erste Senat des Bundesverfassungegerichts erstmalig mündlich in Sachen 'Sanktionen im SGB II'. Seit 10 Uhr behandelt der Senat innerhalb einer auf Art. 100 Abs. I GG begründeten Vorlage des Sozialgerichtes Gotha die Frage, ob mit der durch Sanktionierung entstehenden Kürzung des Arbeitslosengeldes 2 so tief in das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1. Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG eingegriffen wird, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Sanktionsparagraphen dieses Grundrecht in seinem Kernbestand und auf verfassungswidrige Weise verletzt hat.
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Doch das jetzt anstehende verfassungrechtliche Verfahren ist nicht der einzige Grund für die große mediale Aufmerksamkeit, die Arbeitslose im Allgemeinen und deren Sanktionierung im Speziellen derzeit erfahren. Die Bundestagswahl hat die parlamentarischen Gremien in einen Zustand der anhaltenden Verwirrung versetzt. Die parlamentarische Arbeit "am Wähler" steht noch unter dem verheerenden Schock, den die Ergebnisse der letzten Bundestgswahl hinterlassen haben. Auf dem Weg zur Selbstfindung eines wiedererkennbaren sozialdemokratischen Profils bleiben gesetzgeberisches Wirken und gesellschaftliche Gestaltung in den Kinderschuhen der sog. 'Werkstattgespräche' und in den von der Bundesregierung eigens ausgewählten Zirkeln stecken.
Der parteipolitische Wunsch nach klarer sozial- und migrationspolitischer Profilierung und die öffentlichen Gelöbnisse, zunindest dem mit aktivem Wahlrecht ausgestatteten Teil der Bevölkerung nach dem letztjährigen Debakel besser zuhören zu wollen und dessen Wünsche viel mehr als bisher zu berücksichtigen, wirkt angesichts der jüngsten sozialrechtlichen Reformbestrebungen der ehemaligen Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, geradeu grotesk. Schließlich möchte sie nunmehr als "gerade mal so" SPD-Parteivorsitzende eben jenes Sozialgesetzbuch fundamental erneuern, für dessen Eindämmung seiner die Menschenwürde tangierenden Auswüchse ihr als Bundesarbeitsministerin offenbar vier Jahre lang die Zeit gefehlt hat.
Beinahe buchstabengetreu vom Agentur-Kärtchen abgelesen klingt es dann auch, wenn Nahles vom 'jetzigen Hartz IV Regime' spricht, das sie ganz plötzlich, also quasi über Nacht, festgestellt haben will. Gerade einmal vier Monate nachdem sie eben diesem Regime jahrelang als Bundesarbeitsministerin vorstand und es mit dem eigens unter von der Leyen aufgebauten Team aus sozialpolitischen Staatsekretärinnen und wiefen Werbeagenturen nicht nur vehement verteidigt, sondern ihm mit dem Neunten Änderungsgesetz auch die letzten sozialrechtsstaatlichen Ällüren ausgetrieben hat.
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Und schon jetzt spielt ihr Nachfolger Hubertus Heil den bösen Bullen im Dreamteam, der zähneknirschend verlautbaren lässt, die Sanktionierung arbeitsloser und abeitender Sozialleistungsbezieherinnen sei fundamentales und unverzichtbares Werkzeug eines an die Selbstverantwortung des Einzelnen appelierenden Sozialstaates. Schön, dass eben diese profilierungssüchtige Werbemaschinerie nunmehr verspätet und doch gänzlich unbeabsichtigt die Verletzung fundmentaler Grundrechte ins öffentliche Licht rückt, während sie qualifizierte und um jedes Detail ringende Ausschußarbeit und sogar die gesellschaftlich gestaltende und zugleich ausgleichende Funktion des Bundestages im Ganzen längst abglöst hat.
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So viel Aufmerksamkeit haben die meisten 'Hartzler' schon lang nicht mehr erfahren. "Wir sind überhaupt nicht interessant heute" konstaniert hingegen enttäuscht der sonst so omnipräsente Hartz-IV Aktivist Ralph Boes und bezeichnet sich selbst dabei als Zaungast. Dass sich mittlerweile Journalistinnen selbst in kleinen Erwersblosengruppen gegenseitig die Klinke in die Hand drücken, um live und in Farbe über die Spezies des verarmten und dann noch gestraften Prekariats zu berichten, erstaunt dann doch.
"Wir sind aber durchaus in der Tat der Meinung, dass die Sanktionen, der Sanktionsmechanismus durchaus einen förderlichen Effekt hat. Wir sehen darin eine durchaus auch gewünschte pädagogische Wirkung, was das Verhalten der Betroffenen angeht. Denn - und insofern kann ich auch noch eingehen auf den Bereich 'Materielle Auswirkungen der Sanktionen' - natürlich haben die Auswirkungen. Genau das soll auch so sein. Denn natürlich liegt es im Wesentlichen auch in der Hand der Betreffenden selber, ob sie durch Pflichtverletzung die Sanktion herbeiführen oder nicht. Und deshalb halten wir das System des Sanktionsmechanismus im Prinzip für völlig richtig und genau dem Prinzip 'Fördern und Fordern' angemessen."
Ivan Parvanov, Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft
anläßlich einer Anhörung im Bundestagsauasschuss für Arbeit und Soziales
"Gut, dass den Arbeitslosen jemand auf die Finger schaut, damit die nicht wieder nachmittags bei der dritten Flasche Bier erstaunt vor dem Fernseher wach werden", behaupten Wirtschaftsvertreter, und meinen damit die schwarze Pädagogik, die letztlich auch der Begründung des Gesetzgebers bei Einführung der Hartz-IV Gesetze 2005 und deren Grundsatz des "Förderns und Forderns" entsprach. Dass ganz nebenbei damit der größte Nriedriglohnsektor in gesamt Europa geschaffen wurde, hat bekanntermassen Gerhard Schröder bereits vier Wochen nach Einführung des Gesetzes auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos nochmals bekräftigt. Dass ein solche Niedriglohnsektor auf der allgemeinen Verfügbareit und Willfährigkeit von Lohnarbeitssklaven beruht, die so wenig verdienen, dass ein menschenwürdiges Existenzminimum weder die Wohnungsmiete, geschweige denn auch nur eingeschränkte soziokulturelle Teilhabe ermöglicht, ist den Wenigsten klar, die derzeit ledigich die Kündigung Ihres lohngedumpten Jobs fürchten müssen und über denen langsam und vage das Damokles Schwert der modernen Sozial-Exekutive baumelt.
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'Bloß nicht abrutschen, lieber das Maul halten und weiter arbeiten!' hat die Devise derer zu lauten, die gerade noch so über die Runden kommen. Und wenn es doch geschieht, gibt es beim Jobcenter den nächsten prekären Job. Sonst hiessen sie ja Arbeitszentren, was auch nicht so gut klänge und womöglich geeignet wäre, manch ungewollte Assoziation hervorzurufen.
Nicht nur die von Erwerblosigkeit bedrohten und die schon um ihren "gerade noch im Rahmen des menschenwürdigen Existenzminimums" [BVerfGE 1 BvL 1/09] liegenden Regelsatz Samktionierten finden jetzt mehr Gehör denn je. Selbst renommierte Meinungsmacher und rechtlich bewanderte Politik-Redakteure wie Heribert Prantl können über die zahlreichen Kommentare und und sich zunehmend verstärkenden Rückmeldungen ihrer Leserschaft nur staunen. In Zeiten einer sich zur 'global coldness' entwickelnden Netzkultur und der Überwachung nicht von, sondern durch soziale Medien, scheint niemand keine Meinung dazu zu haben, wie man die ohnehin längst nicht mehr zur Verfügung stehenden Langzeitarbeitsverhältnisse gerecht unter den "Sozialschmarotzern" verteilt. Dabei bezieht Prantl schon seit Jahren in selbst für seine Verhältnissen eindeutiger Weise Stellung gegen eine gesellschaftliche Stimmung, in der
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Angesichts der mahnenden und besorgten Worte Prantls über die Berufung Harbarths mag es kaum erstaunen, dass ersten Verschwörungstheorien zu Folge ein nicht zufälliger Zusammenhang zwischen der Terminierung des ersten mündlichen Verhandlungstermines durch den Ersten Senat und der sich genau heute zum 100. mal jährenden Ermordung Rosa Luxemburgs bestünde...
Eilbeschluss vom 6. Februar 2017 sieht das LSG.
[Az.: L 11 AS 887/16 B ER]